Wenn man durch die engen Gassen Wiens schlendert, vorbei an alten Palais und dem Duft frischer Kipferln aus den Kaffeehäusern, stößt man plötzlich auf ein Kleinod, das aussieht, als sei es einer anderen Welt entsprungen. Hoch über dem Hohen Markt spannt sich wie eine Brücke zwischen zwei Häusern ein grünes, glänzendes Wunderwerk: die Ankeruhr. Wer sie zum ersten Mal erblickt, glaubt fast, die Zeit selbst hätte sich hier in Kupfer, Glas und Mosaik verfangen, um sich in aller Ruhe zu zeigen.
Die Geschichte dieses Meisterwerks beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Versicherung „Der Anker“ beschloss, ihrem neuen Hauptsitz nicht nur Wände und Dächer zu geben, sondern ein Herz, das im Takt schlägt – eine Uhr, die mehr ist als bloße Anzeige. Franz von Matsch, ein Künstler des Wiener Jugendstils, erschuf den Entwurf, und mit ihm ein Monument, das Zeit, Geschichte und Kunst miteinander verwebt. Als die Uhr 1914 zu schlagen begann, tobte draußen schon der Erste Weltkrieg, und es war fast so, als ob die Figuren, die über ihre Brücke wanderten, den Wienern Mut zuraunten: „Die Zeit vergeht – aber wir bleiben.“
Wie ein Bühnenvorhang hebt sich das Zifferblatt, wenn die Stunden schlagen. Jede Stunde erscheint eine Gestalt, die von Wiens Vergangenheit erzählt. Da schreitet der römische Kaiser Marcus Aurelius über die Brücke, die Babenberger folgen, und auch Walther von der Vogelweide zieht mit seiner Laute vorbei. Maria Theresia, umgeben von barocker Pracht, grüßt ebenso wie der unerschütterliche Prinz Eugen. Und wenn mittags um zwölf die Musik anschwillt, tanzen alle zwölf Figuren in einer Parade über den Markt, begleitet von Melodien, die wie unsichtbare Fäden direkt ins Herz führen. Dann hält die Zeit für einen Moment inne, und man spürt, dass Wien selbst zu atmen scheint.
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Die Ankeruhr ist kein kaltes Uhrwerk, sondern eine Erzählung aus Kupfer und Klang. Vier gewaltige Konsolen tragen sie – Adam und Eva, Engel und Teufel –, Symbole für das Spiel zwischen Leben und Vergänglichkeit. Auf der einen Seite wacht eine Sonnenscheibe, auf der anderen tickt die Sanduhr der Endlichkeit. Wer in den Abendstunden heraufblickt, wenn die Lampen das Grün des Kupfers zum Leuchten bringen, könnte meinen, er stünde vor einem Portal in eine andere Zeit.
Über die Jahrzehnte hinweg hat die Ankeruhr vieles überstanden: Kriege, Brände, Bomben. Doch immer wieder kehrte sie zurück, restauriert und erneuert, als wollte sie beweisen, dass die Geschichte Wiens nicht zu zerstören ist. Heute steht sie dort wie eine Wächterin der Zeit, ein Denkmal, das man nicht einfach nur betrachtet, sondern erlebt.
Warum ist sie eine Sehenswürdigkeit? Weil sie alles in sich trägt, was Wien ausmacht: den Glanz der Vergangenheit, den Charme des Augenblicks und die leise Ironie, mit der die Stadt ihr Schicksal betrachtet. Wer hier steht, verliert sich in Musik und Figuren, in Geschichten und Symbolen, und findet sich selbst wieder – ein winziges Rädchen im großen Uhrwerk der Zeit.
Wer also Wien wirklich verstehen will, sollte sich nicht nur in die großen Prunkräume der Hofburg wagen. Er sollte gegen Mittag am Hohen Markt stehen, den Blick heben, die Ohren öffnen und miterleben, wie Geschichte über eine Brücke aus Kupfer schreitet. Die Ankeruhr ist keine Uhr – sie ist ein Märchen aus Metall, ein Gedicht in Bewegung, und vielleicht das geheimste kleine Wunder dieser Stadt.