Es gibt Orte in Wien, die mehr sind als nur Räume mit Tischen und Stühlen. Orte, die atmen, die Geschichten erzählen, die im Flüstern von Gesprächen und im Klirren von Kaffeelöffeln ihre Seele preisgeben. Einer dieser Orte ist das Café Hawelka, ein unscheinbares Kaffeehaus in der Dorotheergasse, das längst zum Mythos geworden ist. Wer hier eintritt, betritt kein gewöhnliches Lokal – er betritt ein Stück Wiener Kulturgeschichte.
Als Leopold und Josefine Hawelka im Jahr 1939 die Türen ihres neuen Cafés öffneten, ahnten sie wohl kaum, dass sie damit ein zweites Wohnzimmer für Generationen von Künstlern, Literaten und Träumern schaffen würden. Schon wenige Monate später legte der Krieg das junge Glück in Schutt und Asche – zumindest für eine Zeit. Das Café musste schließen, Leopold wurde eingezogen. Doch als 1945 der Frieden nach Wien zurückkehrte, öffneten sich auch wieder die Türen des Hawelka. Es war, als hätte das Haus selbst nur auf den richtigen Moment gewartet, um erneut zu leuchten.
Der Anfang war bescheiden. Kaffee wurde auf einem Holzofen gekocht, Holz holte Leopold mit einem Handkarren selbst aus dem Wienerwald. Josefine, liebevoll „Frau Hawelka“ genannt, stand Tag und Nacht in der Küche. Ihre warmen, fluffigen Buchteln, gefüllt mit süßer Marillenmarmelade, wurden zur Legende – sie kamen stets frisch aus dem Ofen, meist gegen Mitternacht, wenn die Dichter, Maler und Schauspieler im verrauchten Café in ihre tiefsten Gespräche versunken waren.
Jetzt mit Aktien Geld verdienen ? – Das Buch das es Dir zeigt !
In den fünfziger und sechziger Jahren wurde das Hawelka zu einem der geistigen Mittelpunkte der Stadt. Heimito von Doderer diskutierte hier mit Friedrich Torberg, H.C. Artmann blätterte in seinen Gedichten, und der junge André Heller schwärmte von seinen ersten Bühnenideen. Oskar Werner, der weltberühmte Schauspieler, fand hier ebenso seine Zuflucht wie der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti. Und wenn zufällig Andy Warhol oder Arthur Miller in Wien waren – es dauerte nicht lange, bis man sie im Hawelka traf.
Die Atmosphäre war unverwechselbar. Gedämpftes Licht, alte Marmortische, der Geruch von Kaffee und Tabak, und ein Wirt, der mit wachem Blick jeden Gast musterte. Leopold Hawelka begrüßte seine Besucher stets persönlich. Wer zum ersten Mal kam, fühlte sich willkommen, als sei er längst ein Teil der Familie. Wer regelmäßig erschien, durfte sich sicher sein, dass sein Platz immer frei bleiben würde.
Und dann war da noch die Wand, an der sich unzählige Plakate stapelten, die Konzerte, Ausstellungen und Lesungen ankündigten. Oft wurden Künstler nicht mit Geld, sondern mit Kunstwerken bezahlt. So wucherte das Hawelka zu einer Galerie heran, in der die Bilder still an den Wänden wachten, während die Stadt draußen in ihrer Hektik verging.
Besonders in der Nachkriegszeit hatte das Café eine beinahe magische Anziehungskraft. Hier wurde nicht nur Kaffee getrunken – hier wurde Wien neu erfunden. Während draußen der Wiederaufbau mühsam voranschritt, war drinnen alles möglich: neue Literatur, neue Musik, neue Gedanken. Das Hawelka war ein Zufluchtsort für Freigeister, ein Schutzraum vor der Kälte der Realität, eine Bühne, auf der Ideen geboren wurden, die später weit über die Grenzen der Stadt hinausgingen.
Trotz der Welt, die sich draußen immer schneller veränderte, blieb drinnen alles gleich. Kein WLAN, keine Hektik, kein modischer Schnickschnack. Nur Kaffee, Buchteln und Gespräche, die manchmal die ganze Nacht dauerten. Vielleicht ist es gerade diese Beständigkeit, die das Café Hawelka so einzigartig macht.
Lerne alles über Bitcoin – Hol dir jetzt das Buch!
Noch heute führen die Kinder und Enkelkinder der Gründer das Haus weiter, und die Legende lebt fort. Man spürt beim Betreten sofort, dass hier nicht einfach Kaffee serviert wird – hier serviert man ein Stück Seele Wiens.
Wer also Wien wirklich verstehen will, darf nicht nur durch die Ringstraße spazieren oder den Stephansdom bestaunen. Er muss in die Dorotheergasse gehen, die schwere Tür zum Hawelka öffnen, einen Platz an einem Marmortisch suchen, einen Verlängerten bestellen und warten, bis die Zeit sich ein wenig verlangsamt. Vielleicht riecht man dann schon den süßen Duft der Mitternachtsbuchteln, vielleicht hört man sogar noch das leise Murmeln der Dichter, die längst gegangen sind, aber ihre Stimmen in diesem Raum hinterlassen haben.
Das Café Hawelka ist kein Museum, keine Sehenswürdigkeit im klassischen Sinn. Es ist lebendige Geschichte, es ist Wiens Wohnzimmer. Und wenn man ganz genau hinhört, dann flüstern die Wände noch immer: von großen Ideen, heimlichen Lieben, verrückten Plänen – und vom ewigen Zauber einer Stadt, die ohne ihre Kaffeehäuser nicht Wien wäre.