Im Herzen des Wiener Praters erhebt sich das Riesenrad, ein stählerner Wächter, der seit 1897 über die Stadt blickt. Ein Wahrzeichen Wiens. Seine Speichen drehen sich gemächlich, als wollten sie die Zeit selbst wiegen. Doch unter dem Glanz der Lichter und dem Lachen der Besucher flüstert eine alte Sage von einem Fluch, der die Gondeln des Rades durchdringt – ein Fluch, der nur jene heimsucht, die mit falscher Liebe in ihrem Herzen die Fahrt wagen.

Es war die Zeit, als das Riesenrad seine ersten Drehungen machte, ein Wunderwerk aus Stahl und Träumen, das die Wiener in Staunen versetzte. Damals lebten Franzl, ein Mechaniker mit Augen wie der Nachthimmel über der Donau, und Anna, die Tochter eines Schaustellers, deren Lächeln die Herzen im Prater schneller schlagen ließ. Ihre Liebe war wie ein Lied, das nur sie beide hörten – zart, rein, und doch verboten. Annas Familie hatte sie einem reichen Bankier versprochen, einem Mann, dessen Herz kalt war wie die Münzen in seinen Taschen. Für ihn war Anna ein Geschäft, kein Gelübde.


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Franzl, unfähig, diesen Verrat zu ertragen, schlich in der Nacht vor der feierlichen Einweihung des Riesenrades in den Prater. Er stieg in eine der Gondeln, die Hände zitternd, das Herz zerrissen. Am Morgen fand man ihn dort, leblos, einen Zettel umklammert, auf dem in gebrochener Schrift stand: Wenn ich sie nicht haben kann, soll die Liebe selbst es büßen. Anna, von Schmerz überwältigt, ging in derselben Nacht zur Donau. Man sagt, ihre letzten Worte, getränkt in Tränen, waren ein Fluch, der durch die Nebel Wiens hallte: Wer mit falschem Herzen das Riesenrad besteigt, soll die Leere unserer Liebe spüren.Seit jener Nacht ist das Riesenrad verflucht, so erzählt es die Sage.

Nicht jeder, der in die Gondeln steigt, spürt sein Gewicht. Nur jene, die mit Täuschung oder falscher Liebe kommen, fühlen den Hauch des Fluchs. In stillen Nächten, wenn der Prater in Nebel gehüllt ist und die Lichter der Stadt wie ferne Sterne schimmern, sieht man manchmal zwei Schatten. Franzl und Anna, gefangen in ihrer Sehnsucht, steigen Hand in Hand in eine Gondel. Für wenige Minuten, während das Rad sich dreht, scheint ihre Liebe wieder ganz. Doch wenn die Gondel den Boden erreicht, verblasst Franzls Schatten, und Anna bleibt allein zurück, ein trauriger Umriss, der in die Dunkelheit blickt.

Die Wiener erzählen sich, dass das Riesenrad die Herzen prüft. Wer mit reinem Herzen fährt, spürt nur den Wind und die Magie der Stadt. Doch jene, die mit Lüge oder Verrat in die Gondel steigen, hören ein Flüstern im Stahl, fühlen eine Kälte, die nicht vom Wetter kommt. Manche sagen, sie sehen Anna in der spiegelnden Scheibe der Gondel, ihre Augen voller Trauer, als wolle sie warnen: Liebe ehrlich, oder liebe gar nicht.

Wenn das Riesenrad sich heute dreht, hoch über dem funkelnden Wien, trägt es still die Geschichte von Franzl und Anna. Die Stadt schläft, die Donau glitzert, und die Gondeln wiegen sich im Takt einer Liebe, die nie vollendet wurde. Der Fluch lebt weiter, nicht als Strafe, sondern als Mahnung: Das Riesenrad vergisst nichts. Es kennt jedes Herz, das es trägt – und es weiß, ob die Liebe wahr ist.


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